„Mein Mann hat mir immer wieder aus seiner Vergangenheit erzählt und ich wusste, dass die Konfrontation mit dem System der DDR und der schlimme Verrat, der ihm und seinen Freunden angetan wurde, erzählt werden muss. Hier kommt seine Geschichte.“
Hinter A. A. Kästner verbergen sich die Eheleute Angélique und Andreas Kästner. Im Roman „Die Freiheit so nah“ hat Angélique Kästner aufgeschrieben, wie die Jugendclique ihres Ehemannes durch einen Verrat gebrochen wurde und doch noch immer – auch heute noch – fest zusammenhält.
Angelique Kästner-Mundt
Angélique Kästner-Mundt wurde 1966 in Hamburg geboren. Nach ihrem Studium der Psychologie arbeitete sie ab 1994 in der Psychiatrie und ist seit 2005 in ihrer eigenen Praxis als promovierte Psychotherapeutin tätig. Zwölf Jahre arbeitete sie ehrenamtlich im Kriseninterventionsteam (KIT) des DRK für die Polizei und leistete dort „Erste Hilfe für die Seele“ für Menschen nach traumatisierenden Ereignissen. Im Rahmen dieser Tätigkeit lernte sie ihren heutigen Ehemann, den Hauptkommissar Andreas Kästner, kennen. Unter ihrem früheren Namen veröffentlichte sie bereits mehrere Bücher: www.angelique-mundt.de
Andreas Kästner
Andreas Kästner, 1963 in Wismar geboren und Rostock aufgewachsen, fuhr in der DDR als gelernter Vollmatrose der Handelsflotte zur See. Seit seiner Ausbürgerung aus der DDR im Sommer 1989 lebt er in Hamburg und arbeitete 30 Jahre als Wasserschutzpolizist im Hamburger Hafen. Der Roman „Die Freiheit so nah“, geschrieben von seiner Frau Angélique Kästner-Mundt, ist seiner Biografie angelehnt und erzählt vom Jugend-Freundeskreis, der trotz bitterer Erfahrungen auch heute noch besteht. Als Kästner + Kästner setzt das Ehepaar die Zusammenarbeit in einer Hafenkrimiserie fort.
Aus dem privaten Fotoalbum
(Fotos: privat)
Interview zur Entstehung des Romans
Fragen an Angelique und Andreas Kästner.
Wie kamt ihr auf die Idee für einen Roman, der in der DDR der 80er Jahre spielt?
Angélique: Mein Mann stammt aus Rostock und hat dort seine Kindheit und Jugend verbracht. Als ich ihn kennenlernte, fiel mir sehr schnell auf, dass er in eine feste Clique integriert war, die seit der ersten Schulklasse befreundet war. Das hat mich erstaunt und ich fing an, ihm Fragen zu stellen über seine Kindheit, den Alltag in der DDR, die Stasi … Als er dann seine Stasi-Akte hervorzog, las ich Sätze voller Verachtung und Entmenschlichung. Ich habe geweint und gedacht: Diese Geschichte muss erzählt werden. Es ist eine Geschichte über Freundschaft und Vertrauen, über Verrat und den Umgang mit Schuld.

Worum geht es?
Es ist die wahre Geschichte von neun Rostocker Freunden, die in den frühen 80er Jahren der DDR ihren Realschulabschluss machen. Sie müssen erleben, dass Berufswunsch und persönliche Fertigkeiten wenig zählen in einem Staat, der die Ausbildungsstätten zuteilt. Alle eint der Wunsch nach Freiheit – Freiheit im Tun und Denken und ohne Absicht, der DDR den Rücken zu kehren. Neun Freunde, die gemeinsam durch dick und dünn gehen – bis sich herausstellt, dass einer von ihnen ein Verräter ist: Ein Informeller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit. Doch wem wäre das zuzutrauen? Und warum sollte einer von ihnen mit dem zunehmend verhassten Staat zusammenarbeiten? Das Misstrauen untereinander wächst, als die ersten Freunde versuchen, die DDR auf illegalen Wegen zu verlassen und einer nach dem anderen verhaftet wird.
Kay, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, hatte von Kindesbeinen an den Wunsch, Seemann zu werden. So wie sein Vater die Weltmeere zu bereisen und der tristen DDR für einen Moment den Rücken zu kehren. Obwohl Kay von jeder Seereise zurückkehrt und dem Staat loyal gegenübersteht, wird ihm ohne Begründung das Seefahrtsbuch entzogen – was einem Berufsverbot gleichkommt. Ist auch er ein Opfer des Verräters in den eigenen Reihen geworden?
Die Freundesclique droht zu zerfallen. Nach dem rätselhaften Tod eines Freundes beschließt Kay, in den Westen zu fliehen. Jahrzehnte später, die Mauer ist längst gefallen, treffen sich die Freunde zu einer Trauerfeier in Rostock, als aus der Dunkelheit der Mann auf sie zutritt, der für all das Leid verantwortlich war. Kann das, was geschehen ist, vergeben werden?
Ist die Clique noch zusammen? Wie geht es den Freunden heute?
Angélique: Sie sind heute noch zusammen! Im Osten war Freundschaft und sozialer Zusammenhalt sehr wichtig. Und so halten sie es noch heute. Nach der Wende mussten sie alle ihren Weg finden. Manchen gelang das einfacher als anderen, aber sie leben und versuchen glücklich zu sein.
Andreas: Klar sind wir noch zusammen. Wir sind doch die Indische Reisegruppe!
Andreas, Sie sind von einem Freund verraten worden. Haben Sie denn gar nichts gemerkt?
Andreas: Tja, wenn man keinen Verdacht hat, dann beobachtet man auch nicht. Wenn nicht sei kann, was nicht sein darf … Es war nicht zu merken, er hat sich gut verstellt.
Haben Sie dem Verräter verziehen?
Andreas: Ich wollte mich nicht versöhnen, da die Repressalien die ich erlitten hatte, zu groß waren. Ich war ungläubig und wütend und ich wollte das nicht entschuldigen. Verrat ist und bleibt eine Wunde. Verrat verjährt nicht. Es gibt keine Vergebung. Man kann sich auch Jahrzehnte später verraten fühlen. Immer noch und immer wieder. Ich habe neu gelernt, anderen Menschen wieder zu vertrauen.
Haben Sie den Osten abgestreift?
Andreas: Ich wohne jetzt seit dreißig Jahren in Hamburg. Aber bin ich ein Hamburger? Die Herkunft kann man nicht abstreifen. Der Osten begleitet mich. Ich habe ihn nicht abgelegt und bin kein anderer Mensch geworden. Ich habe mich an mein neues Leben angepasst, aber in mir drinnen bin ich auch ein Ossi. Und ich mag diesen Menschen. Er hat keine Angst vor Autoritäten. Er ist bescheiden. Er kann mit wenig auskommen. Er biedert sich nicht an. Er hat wenig Sendungsbewusstsein. Er ist loyal und treu. Er ist wer er ist.
Angélique: Wo er sich früher die Nase an der Scheibe von Restaurants die Nase plattgedrückt hat, kann er heute eintreten und wird willkommen geheißen. Das liebt er sehr. Er liebt Hotels. Alles wird für ihn gemacht und er behandelt das Personal stets besonders freundlich und zuvorkommend, denn er fühlt sich dankbar, dass sie ihm für ein paar Stunden das Leben so angenehm wie möglich machen. Der jahrelange innere und äußere Mangel seiner Jugend, haben ihn geprägt. Er hat sich umgestellt, aber nicht vergessen.
Wie wichtig war es für Sie, dieses Buch zu schreiben?
Angélique: Eine Herzensangelegenheit. Mein Mann hat viel erlebt, der Gesellschaft viel gegeben und heute will niemand mehr über die DDR sprechen oder etwas damit zu tun haben. Das finde ich falsch. Wenn wir nicht aus unseren Fehlern lernen, sind wir dazu verdammt, sie zu wiederholen.